SEIT 1874 Bin ich schon drin? Bestsellerautorin Katja Eichinger über StarSightseeing im legendären Hôtel du Cap. Design für die Sinne Die privaten Sphären von Vincent Van Duysen „Man muss nicht jedes Gericht neu erfinden“ Ein Gespräch mit Köchin Cornelia Poletto über Wutanfälle, Fernsehtouristen und die perfekten Trüffel-Pommes. Wie deckt sich die Tischkultur 2025 ein? Antworten zu fünf Trends am Tisch von Zukunftsforscherin Hanni Rützler. Die Zeitung von Robbe & Berking zum 150-jährigen Jubiläum
2 Silberne Zeiten — Die Zeitung von Robbe & Berking zum 150-jährigen Jubiläum Silberne Zeiten — Die Zeitung von Robbe & Berking zum 150-jährigen Jubiläum 3 Editorial 150 Jahre grenzenlose Kreativität. 1874eröffnete unser Urur- beziehungsweise Urururgroßvater seine erste Werkstatt in Flensburg. Was aus dieser kleinen Silberwerkstatt seitdem geworden ist, verdanken wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, unseren Kundinnen und Kunden und vielen Begegnungen mit Menschen, die sich alle durch eins auszeichnen: Sie gehören in ihrem Bereich zu den Besten der Welt, stehen für Hingabe, Handwerk und für Ideen, die alle Sinne berühren – genauso wie wir. Mit ihnen haben wir gemeinsam geträumt, Visionen und Produkte entwickelt, oder ihre Tische in silbernen Glanz versetzt. Sie alle sind nicht nur Geschäftspartner, sondern Freundinnen und Freunde im Geiste. Menschen wie sie begleiten uns seit Anfang an. Einige wenige von ihnen stellen wir Ihnen in dieser Zeitung vor. Cornelia Poletto etwa ist eine langjährige Weggefährtin, kocht wie eine Göttin und spricht mit uns über die Macken von Spitzenköchen, Vorurteile gegen Kochshows und Parmesan als Notfallmittel. Wir besuchen außerdem das irische Landhaushotel Adare Manor, mit dem uns neben dem Silber auf seinen Tischen auch die Segelleidenschaft verbindet. Der 4. Earl of Dunraven und Mount Earl, dessen Familie den herrschaftlichen Wohnsitz einst erbaute, war 1893 mit seiner Yacht Valkyrie II beim 8. „America’s Cup“ der Herausforderer. Dieser zweitältesten Sportveranstaltung widmen auch wir uns auf verschiedene Arten immer wieder in der Robbe & Berking-Werft und dem Werftmuseum. Wir werfen auch einen Blick in die für uns immer inspirierende Welt von Design, Kunst und Kultur. Der Belgier Vincent Van Duysen öffnet für uns die Türen zu seinen Privathäusern und erzählt, welche Materialien und Möbel für ihn ein geschmackvolles Zuhause ausmachen. Und von der Trendforscherin Hanni Rützler erfahren wir, warum sich die Fine-Dining-Gastronomie neuerdings am Wirtshaus orientiert. Wonach auch immer Ihnen der Sinn steht: Genießen Sie unsere Zeitung und lassen auch Sie sich inspirieren. Schöner Schein Bereits der Volksmund weiß: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Die Erfolgsgeschichte einer Silbermanufaktur. Wie bei vielen Weltunternehmen beginnt auch die Geschichte von Robbe & Berking in einer garagenähnlichen winzigen Werkstatt. Als Nicolaus Christoph Robbe 1874 seine kleine Silber- schmiede in Flensburg gründet, befindet sich das Kaiserreich im wirtschaftlichen Aufschwung. Alleine unterstützt von seiner Frau Henriette fertigt er in den ersten Jahren silberne Bestecke und Tafelgeräte nach Entwürfen und im Auftrag der Flensburger Juweliere. Er kann nicht ahnen, dass die aus seiner kleinen Werkstatt hervorgehende Marke 150 Jahre und fünf Familiengenerationen später Inbegriff für Tafelsilber sein wird, das Kenner in aller Welt so lieben. Die Anfangsjahre sind schwer. Doch die kleine Firma wächst und Robbe stellt schon bald mit Robert Berking einen hochbegabten Silberschmiedemeister ein, der sich an der Firma seines Chefs beteiligt und sich in dessen Tochter verliebt. Die beiden heiraten. Mit ihm beginnt die erste wirkliche Erfolgsphase der Firmengeschichte. Er baut die Werkstatt und das Absatzgebiet bis zur Stadtgrenze Hamburgs aus und entwickelt ein eigenes Bestecksortiment. Von ihm stammt einer der Grundsätze, der die Manufaktur bis heute prägt: Andere mögen billiger, aber niemand darf besser sein als wir. 1908 ertrinkt Robert Berking beim Baden. Nach seinem frühen Unfalltod und einer Übergangszeit, in der seine Witwe und sein Schwiegervater Nicolaus Robbe die Geschäfte führen, übernimmt Robert Berkings Sohn Theodor 1925 die Leitung. Vierzig Jahre steht er an der Spitze des Unternehmens – und prägt die nachfolgenden Generationen mit seinem Ethos aus Mut, Fleiß, Disziplin und hohen Ansprüchen an sich selbst. Die Geschäfte laufen blendend. Doch dann kommt der Krieg. Der Neustart in den ersten Nachkriegsjahren ist nicht leicht. Erst mit dem Wirtschaftswunder in Deutschland und dem damit verbundenen Lebensgefühl geht es für die Silbermanufaktur wieder aufwärts. Die Menschen richten sich im neu gewonnenen Wohlstand ein und schätzen wieder die schönen Dinge des Lebens. Der Boom erfordert einen erneuten Umzug des Firmensitzes, nun dorthin, wo Robbe & Berking noch heute seinen Sitz hat. Zeitgleich übernimmt Theodor Berkings Sohn Robert II die Leitung der Manufaktur. Er macht aus einer regionalen norddeutschen Marke in den folgenden Jahrzehnten den europäischen Marktführer für silberne Bestecke. Robert Berking selbst entwirft Bestecke von zeitloser Eleganz und Schönheit. Niemals nur vorübergehenden Moden oder Trends folgend, sondern für Generationen geschaffen. Viele seiner Entwürfe liegen bis heute auf den besten Tischen der Welt. 1985 kommt Oliver Berking ins Familienunternehmen, dessen Führung er 1997 in fünfter Generation übernimmt. Es ist die Zeit, in der Handarbeit aus Deutschland zunehmend selten wird und auch in der eigenen Branche immer mehr Firmen es für den leichteren Weg halten, ihre Produktion in Billiglohnländer zu verlegen, um Kosten zu sparen. Oliver Berking nicht. Er entwickelt die Firma weiter, setzt auf internationales Wachstum und eröffnet elf eigene Flagshipstores. Wesentliche Markenwerte bleiben die unübertroffene Handwerkskunst, die hochwertigen Materialien und die Zeitlosigkeit der eleganten Formen. Inzwischen ist das Unternehmen mit seinen 160 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen Weltmarktführer in seinem kleinen aber feinen Segment. Mit Berkings Tochter Lilli übernimmt die 6. Generation die Verantwortung für die Balance zwischen Tradition und Innovation, um Werte und Traditionen des Unternehmens zu wahren und gleichzeitig mit neuen Perspektiven den 150-jährigen Erfolg fortzusetzen. Eine glänzende Idee Anlässlich des 150. Geburtstags von Robbe & Berking feiert die Silbermanufaktur ihre Freundschaft zu Maybach – mit einem Fahrzeug, das den Namen „May-yacht“ verdient. Es war 2002, Auto-Salon in Genf. Kollaborationen zwischen Marken, wie sie heute reflexhaft geknüpft werden, lagen noch in weiter Ferne. Als Mercedes Benz also den mit Hochspannung erwarteten Relaunch seiner großen Marke Maybach präsentierte, die große Sensation: In der Konsole des Fahrgastbereichs befanden sich Champagnerkelche aus Silber, entworfen und gefertigt von Robbe & Berking. „Uns verbindet seit Anfang an die Liebe zu einzigartiger Handwerkskunst, klarer Ästhetik und zeitloser Eleganz“, sagt Maybach-Chef Daniel Lescow. „Unsere Flensburger Freunde haben genau wie wir bei Maybach den Anspruch, individuelle Produkte für Connaisseure des Außergewöhnlichen zu erschaffen“. Die Geburtsstunde einer besonderen Freundschaft. Nun geht die Kooperation zum Jubiläum von Robbe & Berking – beeindruckende 150 Jahre – in eine weitere Runde. Die Traditionsunternehmen haben eine Limousine kreiert, genauer gesagt ein Einzelstück des Maybach S 680, dessen Design von der Silhouette der legendären 12mR Yacht Sphinx inspiriert ist. Die großen und eleganten Yachten dieser Klasse wurden bis 1987 gebaut. Als Königsklasse segelten sie von 1958 bis 1987 um den Titel beim „America’s Cup“. Sie sind der Inbegriff einer klassischen Yacht – und der Traum eines jeden Segelenthusiasten. Die Geschichte hinter dieser Idee: Als Firmenchef Oliver Berking vor fünfzehn Jahren mit Robbe & Berking Classics eine Werft für klassische hölzerne Yachten gründete, legte die Restaurierung einer nachtblauen Sphinx den Grundstein. Schon damals war Maybach von der Yacht begeistert. Nochmal Daniel Lescow: „Die Yachten, die dort gebaut werden, verkörpern genau wie unsere Fahrzeuge die einzigartige Verbindung von Leidenschaft, exquisiter Handwerkskunst und Liebe zum Detail“. Für Lescow seien es seelenverwandte Schönheiten, die jedem Betrachter den Atem rauben. Zum Firmenjubiläum war allen Beteiligten das gemeinsame Projekt schlagartig klar: ein Jubiläumsfahrzeug, das diese maritime Welt mit Automobilität vereint. Oliver Berking: „Es ist ein weiteres Zeichen der Freundschaft, die Maybach und Robbe & Berking seit Langem ausmacht. Uns verbindet eine gemeinsame Passion – Handarbeit, edelste Materialien und zeitlos schöne Linien. Auf der Straße genauso wie auf dem Wasser und auf dem Tisch.“ Uns verbindet seit Anfang an die Liebe zu einzigartiger Handwerkskunst, klarer Ästhetik und zeitloser Eleganz. Oliver und Lilli Berking
4 Silberne Zeiten — Die Zeitung von Robbe & Berking zum 150-jährigen Jubiläum Silberne Zeiten — Die Zeitung von Robbe & Berking zum 150-jährigen Jubiläum 5 „Man muss nicht jedes Gericht neu erfinden“ Köchin Cornelia Poletto über Wutattacken in der Küche, den Geschmack von Trüffelpommes und warum sie findet, dass viele Deutsche gutes Essen nicht genügend wertschätzen. Frau Poletto, Sie haben eine beeindruckende Bandbreite, von TV-Shows über die Kochschule und eigene Produkte bis hin zur Werbung. Sogar im chinesischen Teleshopping waren Sie zu Gast. Welche Rolle verkörpern Sie am liebsten? Ich sehe mich noch immer als Köchin. Alle anderen Tätigkeiten haben sich nebenbei ergeben. Das entspricht meinem Naturell, ich bin grundsätzlich ein offener Mensch. Sonst hätte ich mich vermutlich nie getraut, nach China zu gehen. Mittlerweile ist es auch lebensnotwendig, diese vielen Schubladen zu haben. Mit einem Restaurant allein kommt man nur mittelgut über die Runden. Sie waren vor vielen Jahren Werbegesicht für Margarine. Von dem Geld haben Sie ein Silberbesteck von Robbe & Berking für Ihr erstes Restaurant gekauft. Ich habe schon immer unheimlich gerne auch auf das geachtet, was auf den Tisch kommt. Aber damals konnten wir nicht mal eben kurz ein bisschen Silberbesteck kaufen. Ich habe mein erstes Restaurant 2000 eröffnet und anfänglich war die Buchungslage recht überschaubar. Heute würde ich diesen Job nicht mehr annehmen, weil ich nicht hinter dem Produkt stehe. Aber für das schöne Besteck habe ich das gerne gemacht. Ich erfreue mich jeden Tag daran. Ihre Fernsehkarriere begann damit, dass Johannes B. Kerner mit Freunden einen Kochkurs bei Ihnen gebucht hat. Irgendetwas müssen Sie richtig gemacht haben. Als wir das erste Restaurant eröffneten, war einer unserer Stammgäste ein Freund von Johannes. Er hat für den engen Kreis einen privaten Kurs bei uns gebucht, bevor unsere eigene Kochschule überhaupt existierte. Wir haben uns an einem Sonntag in unserer Restaurantküche getroffen. Es flossen Champagner und Wein, das Essen schmeckte vorzüglich. Johannes war damals als Headhunter unterwegs. Ihm fiel meine Fähigkeit auf, Menschen das Kochen auf eine Weise näherzubringen, dass sie angefochten sind, etwas nachzukochen. Wirklich zu Ende gedacht, hatte ich das Ganze nicht. Wie viel Show ist beim Kochen dabei? Ich halte nichts von Kochshows. Mir steht da zu wenig das Kochen im Mittelpunkt. Diese Sendungen animieren die Menschen nicht, selbst zu kochen. Am Ende stellen sie doch wieder das Fertiggericht in die Mikrowelle. Das bedauere ich. Alleinige Ausnahme ist für mich das Format „Küchenschlacht“. Das Niveau ist enorm hoch, nicht einfach Rinderfilet in Rotweinsauce an Kartoffelstampf. Ihre Karriere nahm mit dem TV-Erfolg ihren Lauf. Dabei wollten Sie eigentlich Tierärztin werden. Das war mal eine naive Idee, weil ich als Kind leidenschaftlich geritten bin. Aber meine schulischen Leistungen haben das Studium nicht zugelassen. Also habe ich eine Ausbildung zur Hotelfachfrau begonnen, dazu gehörten auch Einblicke in die Küche. Da hat es mich gepackt. Als Sie vor die Kamera geholt wurden, war eine TVKöchin eher die Ausnahme. Von dem als cholerisch berüchtigten Restaurantchef Heinz Winkler stammt der Satz: „Frauen für den Süßkram, Männer für Fisch und Fleisch“. Typisch Heinz! Ich habe bei ihm meine Ausbildung begonnen. Damals, vor fast dreißig Jahren, war ich die einzige Frau unter siebenundzwanzig Köchen, abgesehen von einer Mitarbeiterin in der Patisserie. Da muss man schon ein gewisses Selbstbewusstsein und viel Eigenhumor mitbringen, um in dieser testosterongeladenen Männerdomäne zu bestehen. Einmal bekam ich von einem der Köche als Tadel einen Klaps mit einem heißen Löffel. Solch ein Verhalten ist heute unvorstellbar. Die Stimmung hat sich komplett gedreht, mir ist sie fast zu weichgespült. Manchmal habe ich das Gefühl, den jungen Menschen ist die Dienstplanung wichtiger als die Menügestaltung. Sie spielen auf die Work-Life-Balance an, die angeblich vielen nach 1995 Geborenen wichtig ist. Häufig ist es eher eine Life-Life-Balance. Das ist mit dem Restaurantalltag natürlich unvereinbar. Kochen ist ein Job, der abends stattfindet, der am Wochenende stattfindet, wenn andere Party machen. Köchin sein muss man wollen. Welches Klischee über Spitzenköchinnen und Köche ist definitiv korrekt? Gibt es da überhaupt Klischees? Die angesprochenen Wutanfälle zum Beispiel. Gut, wir Spitzenköchinnen machen alle ein ganz schönes Chichi um Essen. Unser Qualitätsanspruch an die Produkte ist beinahe religiös. Ich beobachte es an mir selbst. In meiner Tagesbar stehen Trüffelfritten auf der Karte. Ich habe aufgehört zu zählen, wie viele verschiedene Kartoffeln ich ausprobiert habe, um die perfekten Pommes zu zaubern. Ich glaube, genau das verbindet mich mit Robbe & Berking. Wir schätzen gute Handwerksarbeit. Im Vorwort zu Ihrem ersten Kochbuch hat der Weinhändler Gerd Rindchen geschrieben, wenn er über den Hinterhof zu Ihnen in die Küche kam, sei er sich vorgekommen wie bei Hagenbecks Tierpark. Aus Ärger sollen Sie bisweilen mit Pfirsichen geworfen haben. Da gerate ich vor Scham fast ins Stottern. Es stimmt, als junge Köchin bekam ich bei den kleinsten Sachen regelrechte Wutausbrüche. Der Pfirsich geht auf meinen Mann zurück – mittlerweile Ex-Mann. Wir warteten auf ihn mit frisch zubereitetem Essen, das in Rekordzeit serviert werden sollte. Doch er ließ sich einfach Zeit. Da bin ich kurz ausgetickt. Ich habe sehr an mir gearbeitet. Mich ärgern solche Vorkommnisse immer noch, aber ich warte inzwischen, bis der Stress vorübergezogen ist und spreche den Konflikt in einer ruhigen Minute an. Ich sage mir dann, in der Küche findet keine Operation am offenen Herzen statt. Da dürfen ruhig Fehler passieren. Ihr Restaurant hat auf dem Portal Tripadvisor überwiegend „exzellent“ als Bewertung. Eine wiederkehrende Kritik: sehr gut, aber man bezahlt den Namen mit. Fühlen Sie sich als Köchin manchmal nicht genügend wertgeschätzt? Ich nehme die Kritik nicht persönlich. Um ehrlich zu sein, kommt hier eher ein typisch deutsches Thema zum Tragen. Viele hierzulande sehen es nicht ein, den wirklichen Preis für Essen auszugeben. Ich biete geregelte Arbeitszeiten und beschäftige entsprechend viele Mitarbeitende, die alle auch noch sehr gut bezahlt werden, dies nur nebenbei. Außerdem wähle ich die Zutaten mit großer Sorgfalt aus. Unser Parmigiano Reggiano ist eben kein Supermarktprodukt, sondern stammt von einem kleinen Erzeuger. In dem Käse steckt viel Handarbeit. Hier vergleiche ich uns wieder mit Robbe & Berking. Wenn ich die gehämmerten Silberbecher in den Händen halte, sehe ich vor meinen inneren Augen, wie jemand jeden einzelnen Schlag setzt. Das muss man den Menschen erzählen. Ihr Kollege Christian Rach erzählte, dass die Fernsehprominenz sogar wirtschaftliche Nachteile hätte. Viele Gäste wollen nur gucken. Fernsehtouristen habe ich auch bei uns im Restaurant. Aber ich nehme es als Vorteil wahr. Diese Gäste bestellen immer ein Menü, weil sie einerseits neugierig sind und andererseits den Besuch bei uns zelebrieren. Ich habe mich mit dem neuen Restaurant sehr bewusst gegen Michelin-Sterne entschieden. Aber die Gäste wissen schon, in welcher Qualität sie essen gehen. Im Cornelia Poletto gibt es italienisch-mediterrane Küche mit norddeutschen und asiatischen Einflüssen. Sie selbst sind allerdings gar nicht mit dieser Küche aufgewachsen. Wenn ich aus dem Schulbus ausstieg und die Straße zu unserem Haus einbog, lag nicht selten der Duft von Frikadellen in der Luft. Es war die Leibspeise meines Stiefvaters, meine Mutter hat sie mindestens einmal die Woche gekocht. Mein Wunschgericht waren saure Nierchen, die waren ein typisches Essen für unsere Gegend. Ich bin zwischen Paderborn und Bielefeld aufgewachsen. Wenn ich krank war, hat meine Oma das Gericht zur Aufmunterung zubereitet. Wer stand bei den Polettos zu Hause am Herd, der Vater oder die Mutter? Hauptsächlich meine Mutter. Sie arbeitete halbtags in der Hausarztpraxis meines Stiefvaters, mittags hat sie für uns gekocht – einfache Gerichte, aber immer frisch. Das Schöne daran war, dass wir uns mindestens einmal täglich am Küchentisch getroffen und Essen gemeinsam erlebt haben. Der Aspekt gefällt mir noch immer am Essen. Mein Stiefvater war ein Gelegenheitskoch. Er hat Kochbücher von namhaften Köchen gesammelt. Das allererste Gericht, das ich jemals gekocht habe, stammte aus einem Buch, das ihm ein Patient geschenkt hatte. Es war ein Fasan nach Eckart Witzigmann. Kochen ist seit fast dreißig Jahren Ihr Job. Fällt es Ihnen eigentlich schwer, kreativ zu bleiben? Es fällt einem doch Gott sei Dank immer noch irgendetwas ein. Ich finde ganz grundsätzlich, Pasta lässt viel Raum für Kreativität. Man kann eigentlich alles in ein Nudelgericht hauen. Mir kommt zugute, dass ich ein neugieriger Mensch bin. Ich gehe sehr gerne essen, sammle Kochbücher und habe einen kurzen Draht zu meinen Produzenten. Gerade erst riefen sie bei mir an und sagten, Cornelia, es gibt die ersten sizilianischen Blutorangen. Da springt bei mir schlagartig ein Kopfkino an. Wobei ich eher eine Köchin bin, die klassisch denkt. Ich finde, man muss nicht jedes Gericht neu erfinden. Es heißt, bei Ihnen stünden 600 Kochbücher im Regal. Kochen Sie eigentlich nach Rezept? Tatsächlich gar nicht. Ich genieße es einfach, mir darin die Fotos anzuschauen. Wenn ich dann auf eine besondere Komponente stoße, gucke ich natürlich, wie etwas zubereitet wird. Entweder bringe ich damit einen eigenen Twist in eines meiner Rezepte oder die Ideen tauchen im Kochprozess vor meinem geistigen Auge wieder auf und ich experimentiere mit Zutaten. Bei Desserts und Kuchen, da folgt man natürlich streng einem Rezept, das ist ja höhere Biochemie. Wenn Sie in ein Restaurant gehen, können Sie einfach genießen? Oder verkrampfen Sie innerlich, weil Sie herausfinden müssen, wie etwas gekocht wurde? Ich habe mich eigentlich immer zu den Genießerinnen gezählt. Bis ich kürzlich in München im Restaurant von Jan Hartwig essen war. Da hat es mich bei einigen Gerichten schon gewurmt, wie man solch eine Perfektion hinbekommt. Was ist wichtiger, eine gute Pfanne oder ein gutes Messer? Ganz eindeutig das gute Messer. Eine Pfanne kann man notfalls ersetzen durch ein offenes Feuer. Gas oder Induktion? Das fragen Sie jemanden, der gerade nach dreizehn Jahren von einem Glühplattenherd von Molteni auf Induktion umgestiegen ist. Ich vermisse den alten Kasten unfassbar. Die Machart, eine gusseiserne Platte mit verschiedenen Kochzonen, ist einfach praktisch. Man kann darauf die kleinen Sauteusen so elegant hin und her schieben. Aber manchmal muss man einsehen, dass manche Dinge nicht gehen. Der Herd war überdimensioniert für meine Zwergenküche im Restaurant. Vorweihnachtszeit ist Dinnerparty-Zeit. Was ist Ihr wichtigster Tipp, um für eine große Runde zu kochen? Das Allerwichtigste vorab: bloß niemals anfangen, Rezepte auszuprobieren, die man noch nie gekocht hat. Dann ist eine sehr gute Vorbereitung entscheidend, in der Restaurantküche nennt man es Mise en Place. Gemüse vorschneiden, Soßen vorkochen, umso entspannter ist man als Gastgeber. Und wenn das Kochen vor lauter Erwartungsdruck zum Desaster gerät, was rettet jedes Gericht? Für Notfälle sollte man immer einen guten Parmesan im Kühlschrank haben, den kann man dann auf den Tisch stellen. Ansonsten ist meine Geheimwaffe Ahornsirup. Ein versalzener Spinat, etwas Sirup dazu, da kann man sehr viel Salz wettmachen. Was im Leben ist wichtiger als gutes Essen? Vermutlich Sex und Wein. Ich selbst weiß nichts anderes außer Essen. Ich halte nichts von Kochshows. Sie animieren die Menschen nicht, selbst zu kochen. Am Ende stellen sie doch wieder das Fertiggericht in die Mikrowelle. Foto: Oliver Lassen Pasta- und Tomatenfotos: Jan-Peter Westermann, Foodstyling: Felix Neumann Mit freundlicher Genehmigung von Gräfe und Unzer Verlag. Robbe & Berking Steakmesser, Foto: Thomas Bach
6 Silberne Zeiten — Die Zeitung von Robbe & Berking zum 150-jährigen Jubiläum Silberne Zeiten — Die Zeitung von Robbe & Berking zum 150-jährigen Jubiläum 7 Ein Stück Geschichte Ihre Gabel könnte der Ehering von Kleopatra sein, Ihr Löffel die Teekanne Ihrer Großmutter. Theoretisch jedenfalls. Denn bei Robbe & Berking setzt man fast ausschließlich auf recyceltes Silber. Bitteschön: Ein Basar voller Rätsel. Glanz oder gar nicht Natron, Backpulver oder Bier: Das Internet verspricht allerlei Hausmittel, die Tafelsilber wieder zum Glänzen bringen. Doch was hilft tatsächlich gegen Spuren auf dem Besteck? So viel vorab, kein Geheimtipp aus dem Netz eignet sich für die Reinigung und Pflege von echtem Silberbesteck. Im Gegenteil, jede elektrochemische Reaktion ist mit einem gewissen Verlust der Silberschicht verbunden. Das ist schlecht für den Reinheitsgehalt. Doch das Wichtigste, was es zu diesem Thema ohnehin zu sagen gibt: Bestenfalls übt man sich als Besitzer und Besitzerin eines kostbaren Silberbestecks in britischer Coolness. In England nämlich ist man fest davon überzeugt, dass Silber erst durch Gebrauchsspuren spürbar an Charakter, Schönheit, Tiefe und Authentizität gewinnt. Spuren, die das Silber in seiner Wirkung individuell erscheinen lassen wie ein Fingerabdruck. Diese besondere Aura wird in England besonders wertgeschätzt. Die Rede ist vom sogenannten „Butler Finish“, einer leicht matten und gebürsteten Oberfläche, die in Großbritannien große Tradition hat. Es wird vielerorts eigens in Werkstätten hergestellt, mit dem Ziel, die Illusion von sanfter Abnutzung oder leichter Patina zu erzeugen. Die Optik unterstreicht den Charme und die Geschichte eines jeden Silberstücks. Ein praktischer Aspekt: Das Finish macht Silber weniger anfällig für Fingerabdrücke. Falls doch einmal eine Reinigung gewünscht oder erforderlich ist, an dieser Stelle die gute Nachricht: Erfreulicherweise sind alle Robbe & Berking-Bestecke spülmaschinengeeignet. Allerdings können einige handelsübliche Spülmittel das Anlaufen beschleunigen, andere aber bieten gezielt Schutz, zum Beispiel das unter dem QR-Code rechts. Am längsten schön bleibt das feine Tafelsilber nebenbei bemerkt, wenn es im Haushalt kein trauriges Dasein in dunklen Kisten, auf dem Dachboden oder im Keller fristet, sondern regelmäßig benutzt wird. Der beste Anlaufschutz ist und bleibt die tägliche Benutzung. Ganz lässt sich das Anlaufen jedoch nie verhindern. Wie jeder Lederschuh, jedes Oberhemd und jeder Wollpullover muss auch Silber von Zeit zu Zeit gepflegt werden. Kleinere matte Stellen lassen sich übrigens gut mit dem erwähnten Silberpflegemittel wegpolieren. Endlich mal ein Tipp, der klappt. Alle Infos zum Pflegemittel und noch mehr Tipps: Frau Monteleone, Ihre Mutter war Designerin für Couture-Kleider, Ihr Vater Schneider. Wann kamen Sie mit Innenarchitektur in Berührung? Anfangs habe ich in Monaco ein Modegeschäft geführt. Als ich meine Terrasse aufrüsten wollte, stellte ich fest, dass es auf dem Markt eine Lücke gab – damals fand man vor allem unschöne Plastikmöbel. Da begann ich, nach den besten Marken für Außenmöbel zu suchen. Tatsächlich hieß „Sabrina Monte-Carlo“ ursprünglich „Sabrina Monte-Carlo, Exterior Only“. Nach und nach begann ich, Dekorationsartikel in meinem Geschäft anzubieten. Allmählich haben wir uns in Richtung Innenraumgestaltung erweitert, bis hin zu Möbeln und sogar Renovierungen. Als Designerin haben Sie inzwischen an die tausend Produkte entworfen. Woran arbeiten Sie gerade, oder besser gesagt: an wie vielen Projekten? Meine Töchter sind fleißig dabei, die Marke weiter auszubauen und haben Kooperationen mit Häusern wie J. L Coquet, Alberto Pinto und Dedar geschlossen. Und natürlich ist eine Zusammenarbeit mit Robbe & Berking immer ein Erfolgsgarant. Außerdem widmen wir gerade viel Zeit und Energie einem Superyacht-Projekt namens MY Ulyssia. Der eigentliche Luxus einer Yacht ist die Ausstattung. Kino, Fahrstühle, Jetski-Garage und Helikopter gehören ab einer bestimmten Größe zur Grundausstattung. Was ist herausfordernder: das Design eines Yacht-Interieurs oder einer Wohnung? Ganz klar: von Yacht-Interieurs. Das Design ist deutlich komplexer, da es unfassbar viele Vorschriften zu beachten gibt. Außerdem haben wir ein großes Faible für maßgeschneiderte Einbauten, was für unser Team einen höheren Zeiteinsatz bedeutet. In Ihrer Farbpalette finden sich auffallend viele neutrale Töne wie warmes Weiß, Elfenbein und Schokoladenbraun. Zufall – oder haben Sie eine besondere Beziehung zum Thema Natur? Eigentlich steckt dahinter unser Ziel, den Menschen ein ruhiges Zuhause fernab der Heimat zu bieten. Um das zu erreichen, wählen wir sorgfältig natürliche Materialien wie Terrazzo, Travertin, Onyx und helles Eichenholz, ergänzt durch luxuriöse Texturen wie Blattgold, Perlmutt, Seide, Kunst-Shagreen und gebürstete Bronze. Der Stil ist zeitgemäß und gemütlich. Von Ihnen stammt der Satz, Design müsse die Seele ausdrücken. Wie kann das gelingen? Mit Accessoires. Man kann Persönlichkeit durch Gemälde, Kissen, Bücher, Skulpturen und viele andere Elemente einbringen. Diese Details vervollständigen das Zuhause. Sie haben eine elegante Besteckbox mit Robbe & Berking entworfen, die als „entspannt mediterran“ beschrieben werden könnte. Teilen Sie diese Meinung? Ich würde unseren Stil als zeitgenössisch mit einem medi- terranen Flair beschreiben. Originalität ist entscheidend. Als meine Töchter beschlossen, Designerinnen zu werden, sagte ich ihnen: „Seid ihr selbst und kopiert niemanden.“ Was ist das Geheimnis von Kreativität? Ich lasse mich von meinen Reisen inspirieren. Es kann ein Detail in einem Hotelzimmer sein, das meine Aufmerksamkeit weckt, oder eine einzigartige Farbkombination in einem Blumenstrauß. Meine Umgebung ist eine unerschöpfliche Inspirationsquelle für mich. Wie viel Freiheit geben Ihnen Ihre Kundinnen und Kunden? Einige haben eine klare Vorstellung davon, was sie wollen, und wir helfen ihnen, diese Vision umzusetzen. Andere sind sich weniger sicher. Meistens verstehen wir, was sie wollen, bevor sie es selbst wissen. Haben Sie in letzter Zeit Veränderungen in den Anforderungen an Innenraumdesign bemerkt? Die Menschen sehnen sich nach Wärme. Vor der Pandemie haben viele nicht viel Zeit zu Hause verbracht. Heute ist Komfort die neue Priorität. „Die Menschen sehnen sich nach Wärme“ Die Monegassin Sabrina Monteleone-Oeino zählt zu den gefragtesten Designerinnen der Gegenwart. Sie entwirft Möbel, Accessoires und Wohn- räume – auch für Superyachten. Ihr Wunsch an Design: Mehr Originalität, bitte! Mit ihren maßgefertigten Designs auf der MY ULYSSIA schlägt Sabrina Monteleone auch in Sachen Badezimmer große Wellen. Mustergültige Karriere: Sabrina Monteleone lebt seit ihrer Kindheit in Monaco und betreibt dort seit 25 Jahren ihr Designstudio. Die Schatulle THE BOX hält das edle Robbe & Berking Martelé- Besteck überall griffbereit und lässt den ganzen Raum funkeln. Fotos: Yvan Grubski Linke 3 Spalten: Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum
8 Silberne Zeiten — Die Zeitung von Robbe & Berking zum 150-jährigen Jubiläum Silberne Zeiten — Die Zeitung von Robbe & Berking zum 150-jährigen Jubiläum 9 Earl Grey Das irische Adare Manor zählt zu einem der schönsten Landhaushotels der Insel. Man durchstreift es wie den Landsitz eines vornehmen Lords. Kein Wunder: Die alte Grafschaft Dunraven und Mount Earl führte hier über ein Jahrhundert lang ihr Regiment. Eine Gebrauchsanweisung. Erster Eindruck Das downtownabbeyhafte Herrenhaus liegt zweieinhalb Autostunden von Dublin entfernt, erreichbar über eine der hier typischen Single- Track-Roads. Irland hat eine beispiellos unverbaute Natur, smaragdgrüne Wiesen und Hügel, in den irischen Highlands gehört sehr viel Land nur sehr wenigen Menschen. Wenn man im Vorbeirauschen überhaupt Ortschaften wahrnimmt, dann sind es Bilderbuchdörfchen mit märchenhaften Castles und Kirchen. Diese Aura umweht auch das Adare Manor im County Limerick, am südwestlichen Rand Irlands. Ein Gefühl, das sich bei der Einfahrt einstellt: Man ist zu Gast auf dem Landsitz eines feinen, gleichzeitig modernen Grafen, der einem uralten irischen Stammbaum entstammt. Das Hauptgebäude, eingerahmt vom kristallklaren Fluss Maigue, gezähmtem Grün und dem mächtigen Atlantik, atmet mit seiner makellos granitgrauen Fassade die Aristokratie des 19. Jahrhunderts aus, ein neugebauter Flügel führt die Geschichte in die Gegenwart. Grob zwei Jahre lang ließen die Besitzer das Adare Manor renovieren und wahnwitzig schön gestalten. Die Mühen der Transformation, mit fünfzig Millionen Euro eine der teuersten in der Geschichte des Landes, haben sich gelohnt. Das Adare Manor ist ein „Heritage Hotel“ im besten Sinne. Wie sind die Zimmer? Was man sowieso schon immer am Britischen gemocht hat, findet man im Adare Manor in geballter Form: geschnitzte Wandvertäfelungen und opulente Stuckdecken, puderblaue Samtsofas und prächtige Kronleuchter, elegante Schreibpulte und zum Heulen schöne Tapeten. Wer keine Kosten scheut und eine der beiden Signature-Suiten bucht, genießt gleich noch die Dienste eines eigenen Butlers. Kann man es mit dem „Heritage“- Bezug auch übertreiben, zu aufgesetzt, verbissen oder plump damit umgehen? Möglich ist das, obwohl im Adare Manor im Grunde wirklich alles stimmt. Die Zimmer verströmen majestätischen Charme – auch dank des Ausblicks auf den wilden Maigue im Kontrast zum kunstvollen Golfplatz; unterdessen bestechen sie durch unsichtbaren Komfort. Moderne Bequemlichkeiten wie iPads für den Zimmerservice gehören zur Ausstattung, ebenso elektrische Vorhänge und sensorgesteuerte Nachtlichter. Nicht einmal der Flachbildfernseher muss das stimmungsvolle Bild stören. Er verbirgt sich im Holzschrank, der, very Adare Manor, eine echte Antiquität ist. Es ist Dinnerzeit. Wo reserviert man und wie ist es? Wer im Adare Manor absteigt, sucht bewusst einen glamourösen, geselligen Spielplatz für ländliche Vergnügungen. Forellenfischen, Bogenschießen und, ja, Golfen, das alles steht für das erholungssuchende Klientel bereit. Aber die wahre Attraktion befindet sich im Herzen des Hotels: das Sterne-Restaurant Oak Room. Im Saal wartet ein wahrer Schönheitsangriff. Das historische Eichenparkett schimmert blank, die eleganten Robbe & Berking Bestecke leuchten kostbar im Licht der riesigen Kristalllüster, unter denen die Gäste abends feine regionale Speisen wie Rehrücken, smoked sea trout oder Meeresfrüchte von Koch-Mastermind Michael Tweedie bestellen. Für den anschließenden irischen Whiskey begibt man sich eine Etage tiefer, in das Speakeasy Tack Room, wo man stilbeflissen im Schein des Kaminfeuers sitzt. Auf wen trifft man in den Fluren? In vielen Ecken des Adare Manor laden Sitzgruppen zum Verweilen ein, breakout areas mit antiken Vitrinen, auf oder in denen sich zahllose Objekte stapeln. Man vernimmt keine störende Hintergrundmusik, nur das Knistern offener Kamine. Die Stille in den öffentlichen Bereichen wirkt nicht einschüchternd. Es fühlt sich wie das Zuhause an, das es einst für die Earls of Dunraven war. Von hier aus beobachtet man geruhsam das zurückhaltende Treiben der anderen Gäste. Es ist eine Mischung aus Einheimischen, die kommen, um zu sehen, was sich im Adare Manor verändert hat und was nicht, Amerikanern in Golf-Outfits oder Paaren, die in der romantischen Stimmung des Anwesens schwelgen. Apropos, Michael Douglas und Catherine Zeta-Jones waren gerüchteweise auch schon hier. D er neugotische Bau entzückt mit Charakterzügen eines typischen „Calendar House“ und zählt exakt 365 Bleiglasfenster, 52 Schornsteine, sieben Säulen und vier Türme. Ob in den Aufenthaltsräumen, in Gängen oder an Treppenabsätzen, auf Schritt und Tritt warten einmalige Settings. Fotos: Jack Hardy Bin ich schon drin? Während der Filmfestspiele von Cannes finden die wirklichen Promi-Partys dort statt, wo die großen Stars übernachten, im Hôtel du Cap-Eden-Roc. Unsere Autorin Katja Eichinger hat mitgefeiert – bei einem etwas unwirklichen Lunch … Etwa vierzig Autominuten dauert es von Cannes, dann sieht man hautnah lauter Gesichter, die man kurz zuvor noch auf der Kinoleinwand gesehen hat. Natürlich nur, wer es zur Festivalsaison in die Hotelbar oder auf die Terrasse vom Hôtel du Cap geschafft hat. Mittlerweile kann ohne Reservierung niemand mehr den Hotelgrund betreten. Es ist einer dieser unsichtbaren Orte, wo sich Reichtum versteckt. Tech-Unternehmer, die noch mit ihrer Gucci-Männerhandtasche hadern, europäische Familien, die ihre schmollmündigen Kinder für das Sechs-Sterne-Leben trainieren und natürlich ChinesInnen und AraberInnen. Nicht zu vergessen, die Influencerin mit riesigem Sonnenhut vor der Handykamera, am glitzernd blauen Meer. Dort unten am Meer liegt auch das Eden Roc, das Restaurant des Hotels, zu dem der weniger formelle Grill gehört. Selbst in der Hauptsaison empfinde ich den Service als den Umständen entsprechend exzellent. Außerdem ist der Nizza-Salat hervorragend. Nach ausführlichen persönlichen Studien kann ich sagen, dass der Nizza-Salat im Eden Roc der beste der Côte d’Azur ist, aber dies nur nebenbei. In Wahrheit bezieht das Hotel seinen Reiz von den vielen Stars, die die anderen Gäste hier beobachten können. Das mehr als 150 Jahre alte Hotel gehört seit Anfang der 1970er-Jahre der deutschen Oetker-Familie aus Bielefeld. Erstaunlich, was man alles mit Backpulver anstellen kann. Rudolf und Maja Oetker hatten das du Cap zum ersten Mal 1964 aus der Ferne gesehen, als sie an der Côte d’Azur segeln waren. Fünf Jahre später kauften sie das Hotel, ohne dass sie es vorher tatsächlich betreten hatten. Vielleicht liegt es an den deutschen Besitzern oder der Tatsache, dass es ein vor allem amerikanisches Klientel war, welches das Hotel so berühmt gemacht hat, aber das du Cap fühlt sich nur bedingt französisch an. Vielmehr umweht das Hotel, das aussieht wie ein klassisches Château an der Loire, der Nimbus des transatlantischen Jetsets. Hier trifft Glamour und Begehrlichkeit auf Bling. Ich erinnere mich an eine Szene während des Filmfestivals, die diese besondere Aura beschreibt. Vor einigen Jahren saß ich zum Mittagessen auf der Terrasse des Grills, die aussieht wie das Deck einer weißen Art-décoYacht. Fast alle Tische waren belegt, die meisten davon mit amerikanischen Filmleuten, die es hier mit Rosé und Austern auf Firmenkosten krachen ließen. Plötzlich kam ein kleines Motorboot auf das Eden Roc zugeschippert, das Gäste von einer an der Bucht verankerten Superyacht ins Hotel brachte. An Bord war Johnny Depp, damals als Pirat Jack Sparrow auf der Höhe seines Ruhms. Es war lange vor der Schlammschlacht mit seiner Ex-Frau Amber Heard, durch die die unangenehmeren Seiten seiner Persönlichkeit zutage traten. Als Depp in diesem JackSparrow-Gang schließlich die Treppen hochging, brach die gesamte Terrasse in Jubel aus. Das war eben genau das, was man sich von einem Besuch im Hôtel du Cap erhoffte: einen exklusiven Blick auf den berühmtesten Piraten der Welt und dazu noch auf einem Boot. In Wirklichkeit applaudierten wir Gäste nicht nur Depp, sondern auch uns selbst, und dass wir es an diesen Sehnsuchtsort geschafft hatten. Du bist entweder drin oder draußen, vor allem im Hôtel du Cap. Das große Blau: Côte d’Azur. Blumenbar, 22 Euro Sonne, Stars und Kunst Wenn in Miami die alljährlichen Kunstschauen Art Basel, Nada und Scope wieder losgehen, verwandelt sich die komplette Stadt für wenige Tage in eine der wichtigsten Ausstellungsräume für zeitgenössische Werke. Wir stellen vier Orte vor, die man bei einem Besuch sehen muss. Dacra – The Sleep of Reason Jedes Jahr zur Art Basel präsentiert das Dacra eine Sonderausstellung, die aus der persönlichen, 1500 Arbeiten umfassenden Sammlung von Craig Robins schöpft. Der Immobilienentwickler, der in den 1990erJahren im heruntergekommenen Design District eine ehemalige Ananasplantage erwarb und in Designerläden umwandelte, war maßgeblich am kometenhaften Aufstieg des Viertels zum Kunstmekka beteiligt. Die diesjährige Ausstellung trägt den Titel „The Sleep of Reason“, also grob übersetzt „Der Schlaf der Vernunft“ und stellt Werke von Kunstliebling Jana Euler sowie von Kai Althoff in den Mittelpunkt. 3841 NE 2nd Ave, Suite 400, Miami Art Basel Miami Beach – Jan Kaps Art Basel Miami Beach, die partywütige kleine Schwester der Art Basel, hat den Anspruch als wichtigste amerikanische Messe für moderne und zeitgenössische Kunst aufzutreten. Unter der neuen Direktorin Bridget Finn bringt die Veranstaltung 283 Galerien aus 34 Ländern und Territorien zusammen. Erstmals dabei: die Galerie Jan Kaps aus Köln. Gezeigt werden die Arbeiten von Daniel Dewar & Grégory Gicquel, Melike Kara, Berenice Olmedo, Carrie Bencardino, Minh Lan Tran und Rasha Omar. Im Mittelpunkt der Künstlerinnen und Künstler in Kaps Portfolio stehen Themen wie Identität, Queerness und Geschlecht. 1901 Convention Center Drive, Miami Beach Faena Art – Nicholas Galanin & Lyra Drake Die Non-Profit-Organisation bespielt verschiedene Schauplätze in Miami Beach. Am Strand von Faena Beach etwa zeigt der indigene Künstler Nicholas Galanin aus Alaska eine ortsspezifische, neun Meter hohe und achtundzwanzig Meter breite Installation. Neben Galanins Werk stellt Faena Art eine Arbeit von Lyra Drake vor. Die multidisziplinäre Künstlerin lädt ins Faena Hotel ein, wo ein Orakel in Dialog mit den Besuchern tritt. Seine Stimme wurde von Drake mithilfe einer maßgeschneiderten künstlichen Intelligenz geschaffen. Das Werk täuscht vor, ein empfindungsfähiges Wesen mit einem Bewusstsein zu sein. 3201 Collins Avenue, Miami Beach ICA Miami – Lucy Bull Vor zwei Jahren ist das Institute of Contemporary Art Miami an seinen heutigen Sitz im Design District gezogen: das Gebäude von Aranguren + Gallegos Arquitectos mit der markanten Zick-zack-Fassade aus Metall zementiert den Status Miamis als Kunststadt. Zur Sammlung gehören Werke von Hervé Télémaque oder Rashid Johnson. Ab Dezember stellt das ICA die Arbeiten der in Los Angeles lebenden Malerin Lucy Bull aus. In der Schau „Garden of Forking Paths“ beleuchtet Bull die formalen und sinnlichen Dimensionen der Malerei mit einer lebhaften Maltechnik und energiegeladenen Gesten. 61 NE 41st Street, Miami Exposition des Tierreichs: Eichenbank von Daniel Dewar & Grégory Gicquel mit Admiral-Faltern, Admiral-Raupen und Schnecken. Foto: Simon Vogel Mit freundlicher Genehmigung der Künstler sowie Jan Kaps, Köln.
10 Silberne Zeiten — Die Zeitung von Robbe & Berking zum 150-jährigen Jubiläum Silberne Zeiten — Die Zeitung von Robbe & Berking zum 150-jährigen Jubiläum 11 „Eine Wohnung ist kein Museum“ Der Belgier Vincent Van Duysen baut Häuser, designt Möbel und kümmert sich um die Einrichtung von Modeläden. Für das Einrichten von Räumen hat er einen wichtigen Rat: Keinen Kunststoff! Herr Van Duysen, Menschen, die Sie kennen, sagen, Sie stünden ständig unter Strom. Stimmt vollkommen. Mein Gehirn funktioniert wie ein Schwamm, der alles um sich herum aufsaugt; aus Büchern, Kunst, Dokumentarfilmen und Reisen. Das meiste ziehe ich allerdings aus dem Alltäglichen, aus Begegnungen mit Menschen. All das geht durch meinen Filter und gerinnt zu einer Idee. In Gedanken bin ich pausenlos am Skizzieren. Ich bin ein wandelndes Notizbuch. Es fällt mir schwer, mental den Stecker zu ziehen, ich muss mich regelrecht zur Ruhe zwingen. Mir gelingt es mit einer Routine: täglich eine Stunde Meditation. Außerdem gönne ich mir zu Hause Momente der Ruhe, mit meinen drei Dackeln und der Familie. Frühe Theologen fanden, Architektur präge die Menschen stärker als die Bibel. Teilen Sie diese Auffassung? Aus Sicht von Theologen mag das stimmen. Ich strebe danach, den Menschen einen Kokon zu bauen, einen Tempel der Ruhe und Geborgenheit. Das interessiert mich an Architektur. Vielleicht, weil ich den Glauben daran habe, dass Architektur die Macht besitzt, bessere Menschen aus uns zu machen, möglicherweise sogar eine bessere Gesellschaft. Dieser Glaube zieht sich wie ein roter Faden durch meine Projekte und Designs. Man erkennt ihn auch bei mir selbst und meinen beiden Wohnsitzen, die Konzentration auf das Wesentliche, die Reinheit, Natürlichkeit und Zeitlosigkeit. Umgekehrt: Kann ein Raum Gefühle von Einsamkeit und Sinnlosigkeit in uns erzeugen? Das kann passieren, ja. Wenn der Architekt es versäumt, die Seele und die Bedürfnisse der Menschen einzufangen und man sich nicht intuitiv durch einen Raum bewegt. Der Fluss der Räume muss funktionieren. Gutes Design muss auch praktisch sein und darf sich nicht nur der Schönheit unterwerfen. Leiden Sie unter schlechter Architektur? Es kommt sogar recht häufig vor. Ich bin ein sensibler Mensch, meine Antennen sind sehr feinfühlig. Ich nehme dieses Gefühl ernst, um bestimmte Orte schlage ich einen weiten Bogen. Falls das mal nicht klappt, lenke ich mich ab und gestalte das Gebäude in Gedanken um. Gut, hier spielt auch persönlicher Geschmack eine Rolle. Was für mich schlechte Architektur ist, funktioniert für jemand anderen. Ich entscheide aus dem Bauch heraus. Ihre Eltern zogen mit Ihnen aufs Land, als Sie ein kleiner Junge waren, und fanden, Sie sollten Rechtsanwalt werden. Mein Vater arbeitete in der Teppichbranche, gleichzeitig interessierte ihn Kunst und er malte. Wir reisten oft durch Belgien, um Galerien und Ausstellungen zu besuchen. Ich kam früh mit Malern, Bildhauern und Architekten in Berührung. Das hat den Wunsch, Architekt zu werden, in mir geweckt. Mich reizte, dass Architektur die Aspekte aller angewandten Künste abdeckt. Ich hätte genauso gut Fotograf, Filmemacher, Maler oder Tänzer werden können, aber unter keinen Umständen ein Büromensch. Wie es scheint, arbeitet man entweder als Architekt oder als Interior-Designer. Wird man weniger ernst genommen, wenn man als Architekt beides macht? Für mich ist diese Trennung ein Rätsel. Vielleicht rührt sie daher, dass viele Architektur der Logik zuordnen und Design der Kreativität. Ich begreife Architektur in einem umfassenden Sinne: Es geht nicht um den physischen Bau von Räumen, sondern darum, Lebensräume zu schaffen. Diese Räume leben von Kunst, Möbeln und Objekten. All diese Elemente gehören für mich zur Lebenskunst. Diese Philosophie ist Teil meiner eigenen Biografie. Wohnen ist ein Gesamtkunstwerk. Ihre Liebe zur Ästhetik kann man am besten bei Ihren beiden Wohnsitzen besichtigen. Ein Townhouse und Landhaus, deren besonderer Luxus die fast meditative Ruhe und Wärme ist. Sind Sie ein Minimalist? Meine Arbeit richtet sich stark gegen die Ideale des Minimalismus. Darunter verstehe ich die Strömung in der bildenden Kunst, die sich ab den 1960er Jahren in den USA formte. Ich bin kein Fan von kahlen, beinahe mönchisch leeren Innenräumen, ich will Seele. Mein Ziel ist ein pures Design, indem ich mich von allem Überflüssigen löse und so zum Wesentlichen gelange. Deshalb verwende ich natürliche Materialien und Texturen. Sie altern schön und entwickeln eine Patina, die Räume zeitlos macht. Der Modedesigner Riccardo Tisci ließ den Flagshipstore von Burberry in 19 verschiedenen Beigetönen streichen. Unternehmen wie Zara Home bewerben schlackefarbene Bettüberwürfe und Küchen. Beige gilt plötzlich als Liebling in der internationalen Inneneinrichtung. Wie erklären Sie sich diesen Hype? Hype? Ich verwende solche Töne seit dreißig Jahren. Die Gründe dafür sind pragmatisch. Beigetöne bieten die perfekten Hintergründe für Kunst, Objekte, Accessoires oder Möbel. Es ist, als würde man einen Schritt zurücktreten und der Einrichtung die Bühne überlassen. Es sind neutrale Farben, die rein und essenziell sind. Sie wirken beruhigend und zurückhaltend. Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich verwende hin und wieder auch kräftige Farben. Nach über dreißig Jahren als Architekt und Designer haben Sie viele Trends kommen und gehen sehen. Gibt es einen Stil, der niemals aus der Mode kommt? Ich besitze eine Sammlung von Vintage-Möbeln, die von brasilianischen Designern wie José Zanine Caldas bis hin zu vielen Stücken von Pierre Jeanneret reicht. Was sie zu Klassikern macht, ist die reine und klare Formensprache. Klassiker werden immer eine starke Wirkung haben. Oder denken Sie an den Franzosen Jean-Michel Frank, er war ein absoluter Pionier als Innenarchitekt und Möbeldesigner mit seinem zurückhaltenden, aber raffinierten Stil. Schlichte, klare Linien im Zusammenspiel mit edlen Materialien wie Stroh, Pergament, Gips und Leder. Solche Stücke werden in jeder Ära Anklang finden. Wenn man sich Ihre Privathäuser und Projekte anschaut, tauchen so gut wie nie Objekte aus Kunststoff in den Räumen auf. Was stört Sie an Plastik? Mir fehlt die individuelle Note, Kunststoff ist zu perfekt. Ich bevorzuge Materialien wie Holz, Stein oder Leinen, einige Metalle. Sie machen ein Interieur warm, gemütlich und menschlich. In Wohnblogs sieht man häufig das Bild einer perfekten Wohnung, kein Kinderspielzeug, kein ungemachtes Bett, kein platt gesessenes Sofakissen. Welche Regeln sollte man beherzigen, damit durchdesignte Räume nicht geleckt und unbewohnt erscheinen? Eine Wohnung ist kein Museum. Man sollte in seinen Räumen leben und das auch mit der Welt teilen. Wenn man Funktionalität mit zeitlosen Stücken, Objekten, Accessoires und Kunst kombiniert, ist die Arbeit schon halb getan. Mein Rat: Subtrahieren Sie! Besser ein Stuhl zu wenig, als den Raum mit zu vielen Möbeln zu überladen. Andererseits sollten einzelne Möbelstücke besonders sein. Ich bin stolz auf meinen neuesten Kauf, ein Sesselpaar aus dem Jahr 1929 von Eyre de Lanux. Die Stücke sind atemberaubend, aus Mahagoni und geflochtenem Stroh gefertigt; der Stil ist rein und zeitlos. Sie sind sehr schwer zu bekommen. Ich habe sie bei Sotheby’s gekauft. Dürfen Ihre Dackel darauf Platz nehmen? Meine Dackel dürfen überall hin. Sie sind wie meine Familie. Private. Rizzoli, 94 Euro Gutes Design muss auch praktisch sein und darf sich nicht nur der Schönheit unterwerfen. Hausherr Van Duysen bewegt sich in seinem Ferienhaus Casa M am liebsten ohne Schuhe. Nahtlose Bräune: Das Urlaubsdomizil nahe Comporta hat Vincent Van Duysen als sandfarbenes, bunkerartiges Haus entworfen, damit es sich in die Umgebung einfügt. Das historische Stadthaus in Antwerpen, einst ein Notariatsbüro, wurde von Van Duysen entschlackt und neu strukturiert, sodass nun überall natürliches Tageslicht einfließt. Fotos und Coverfoto: François Halard
12 Silberne Zeiten — Die Zeitung von Robbe & Berking zum 150-jährigen Jubiläum Silberne Zeiten — Die Zeitung von Robbe & Berking zum 150-jährigen Jubiläum 13 Die Bretter der Kunstwelt Kein anderes Spiel ist so sehr das Spielzeug von Künstlern wie Schach. Über die Anmut einer Sportart, die Kreative seit jeher fasziniert. Wenn man ein Schachspiel als ahnungsloser Nichtspieler verfolgt, ist es ein kompliziertes Figurenrücken auf schwarzweißen Feldern. Schach ist eine Bühne für einen Wettstreit von Geist und Strategie, kein anderes Spiel umgibt dieser Nimbus von Wahnsinn und Genialität. Insofern ist es kaum verwunderlich, dass eine Reihe von Künstlern dem alten Denksport, der im Mittelalter über Indien und Persien nach Europa kam, immer wieder verfallen sind. Ein rastloser Kopf hat die Möglichkeit Zug um Zug über die unendlichen Möglichkeiten des Spiels zu brüten, Gedanken zu entwickeln. Alexander Calder, Man Ray oder Max Ernst: die Schachwelt wimmelt vor eigenwilligen Künstlerpersönlichkeiten. Kaum ein anderer Künstler aber begab sich in einen Kaninchenbau der Schachtheorie wie Marcel Duchamp. Den Großmeister des Readymades hatte eine derartige Besessenheit gepackt, dass er sich in den 20er-Jahren aus der Kunstwelt verabschiedete und bis 1933 in fünf SchachOlympiaden für die französische Mannschaft spielte. Er schrieb sogar ein ganzes Buch über sein Schachwissen. Was heute viele nicht mehr auf dem Schirm haben, Duchamp verlieh seiner Hingabe Ausdruck mit eigens gestalteten Schachfiguren. Bis dahin gab es grob gesagt zwei Arten von Sets: das sogenannte französische Regency, so zierlich gedrechselt, dass die Figuren manchmal schwer zu unterscheiden waren; und das fast überall verwendete Staunton-Design, eine schwere, massive Konstruktion, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts bei Turnieren verwendet wurde. Duchamp, dessen Prinzip darauf baute, die Grenzen der Kunst zu erweitern, indem er sie aus ihrem ursprünglichen Kontext löst – das Pissoir, na klar –, zeigte auch mit dem Schachspiel, dass Kunst nicht nur in Museen oder Galerien stattfindet, sondern überall dort, wo ein Mensch einen Gegenstand oder eine Handlung mit neuen Augen betrachtet. Überraschenderweise strotzen Duchamps’ Schachfiguren für seine Verhältnisse regelrecht vor Langeweile, die Arbeiten anderer Künstler rauben einem dafür den Atem. Bereits in den 20er-Jahren, im Zeitalter des modernistischen Drangs zur Vereinfachung und Zerlegung vertrauter Formen auf ihre erkennbaren gemeinsamen Nenner, hatte der Fotograf Man Ray ein zum Schreien schönes Set entworfen: der König eine Pyramide, die Dame ein Kegel aus versilbertem Messing, der Springer gewunden wie ein Geigenhals. Das Ergebnis hat etwas von der Finesse der Skulpturen seines Freundes Constantin Brancusi. Einen anderen Freund, Jean-Michel Frank, den Schiedsrichter des Art-déco-Stils, ließ Ray einen Tisch für sein Spiel anfertigen – zweifelsfrei ein Gesamtkunstwerk. Doch eines der bis heute brillantesten Sets der Kunstgeschichte lieferte: Max Ernst. Wie es scheint, sah Ernst, ein enger Freund Duchamps’, im Schachbrett für sich die Möglichkeit, Malerei und Skulptur miteinander zu verbinden. Tatsächlich vollbrachte er ein kleines Kunststück: Jede der Figuren war vollkommen überdacht und dennoch sofort erkennbar, etwa der Springer, den Ernst krummsäbelähnlich formte, je nach Betrachtungsweise ohne Kopf oder ausschließlich ein Kopf. Ernst wollte schwere, große Figuren – etwa fünfzehn Zentimeter hoch –, die auf einem übergroßen Brett eingesetzt werden, mit Zwischenräumen, die alle Figuren rundherum zur Geltung bringen konnten. Ohne es zu beabsichtigen, hatte Ernst ein, nun ja, ernst zu nehmendes Design für das Schachspiel seit dem klassischen Staunton entwickelt. Das Gewicht der Spielfiguren, die Haptik des Spielbretts, all das beeinflusst ja bekanntermaßen die Interaktion mit dem Schachspiel. Dank Künstlern wie Max Ernst ist es eine Reise durch fantastische Landschaften. Wie deckt sich die Tischkultur 2025 ein? Antworten zu fünf Trends am Tisch von Zukunftsforscherin Hanni Rützler. Impressum Herausgeber Oliver Berking, Lilli Berking Redaktionsleitung Nils Binnberg Art Direction BOROS Marie Janda Fotos Robbe & Berking Thomas Bach Druck Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag GmbH & Co. KG Ich kann nicht mit absoluter Genauigkeit sagen, wie viele Jahre ich um das Silber von Robbe & Berking herumgeschlichen bin. Als ich vor zehn Jahren das Seiberts eröffnete, wurde mir klar: Ohne Silberschalen kann man keine vernünftige Bar betreiben. Der klassische Prince of Wales etwa wird schon immer aus einem Silbercup getrunken. Sein Erfinder, der britische Thronfolger Albert Edward, soll die Schale Ende des 19. Jahrhunderts vorgeschrieben haben. Glas wäre aus meiner Sicht ein Fauxpas. Außerdem legen wir großen Wert auf besondere Zutaten – da sollte das Erscheinungsbild stimmen. Für die rund hundert Eigenkreationen auf der Karte stellen wir vieles in unserer Küche selbst her. Bestes Beispiel ist unser Kaviartini. Das Rezept: hausgemachtes Kalamansi-Safran-Sorbet, Wodka und Champagner. Obendrauf, auf einer sogenannten „Bridge“, lau- warme Blini mit Kaviar. Echtes Fine Drinking also. Da spielt die korrekte Temperatur eine große Rolle, Silber umarmt die Kühle schön. Den Kaviartini servieren wir natürlich in einer Silberschale. Ob es einer unserer Signature-Drinks ist? Das ist schwierig zu beantworten, weil sich unsere Karte stetig wandelt. Wir arbeiten mit frischen, saisonalen Zutaten. Was ich mit großer Sicherheit sagen kann: In letzter Zeit wird verstärkt Negroni bestellt. Unserer hat Seltenheitswert, wir verwenden einen Original-Campari aus den 70er-Jahren. Das verdient einen Tumbler aus: Silber. Seiberts, Friesenwall 33, 50672 Köln Kühles Silber Volker Seibert steht seit rund 32 Jahren als Bartender hinter dem Tresen. Für seine Kreationen wurde der Kölner mit den höchsten Preisen der Bartender- Welt ausgezeichnet. Hier verrät er, warum einige Drinks erst aus Silber formvollendet schmecken. Möge der oder die Beste gewinnen: Robbe & Berking erobert den Spieletisch. 3 Grünkohl mit Pinkel im Fine-Dining-Restaurant? Bald vielleicht immer öfter so Parallel zur Nachhaltigkeitsbewegung ist in der Gastronomie eine Rückbesinnung auf Einfachheit und Authentizität zu beobachten, sowohl in Sachen Tischdekoration als auch Gerichten. „Wir erleben eine Gastronomie mit gutem Gewissen“, sagt Trendforscherin Rützler. Besonderes Augenmerk läge auf ethischen Produktionsmethoden, der Herkunft der Ausgangsprodukte sowie regionalen Traditionen. „Das Thema ist reduced to the max, etwa Grünkohl mit Wurst aber vom Spezialisten, der weiß, woher das Fleisch stammt, oder es selbst produziert“. Im Zentrum stehe nicht mehr allein, die Virtuosität der Köchinnen und Köche zu präsentieren, sondern auch die besondere Qualität der Produkte. „Was sich in der Nouvelle Wirtshausküche manifestiert, ist die Sehnsucht nach einer Verbindung zur Natur und den Grundlagen menschlicher Kultur“, so Rützler. Die Bewegung stehe im Gegensatz zur Opulenz, wie sie mitunter in manchen Sterneküchen überstrapaziert wurde. 4 Keine Bar mehr ohne alkoholfreie Drinks Rützler beobachtet, dass der Konsum von leichtem Alkohol und Getränken, die alkoholische Drinks ohne Alkohol nachahmen, zunehme. Da es bei Ernährungsfragen längst nicht mehr nur um Geschmack, sondern auch um die eigene Gesundheit sowie ethische und ökologische Aspekte geht, sieht sie einen neuen Typus. „Die Jungen trinken anders, nicht jeden Abend ihr Bier oder ihren Wein. Wenn sie trinken, darf es ruhig ein bisschen speziell sein“. Beliebt seien Drinks mit Komponenten wie Verjus. Der Saft unreif geernteter Trauben verleiht nichtalkoholischen Getränken einen feinherben und fruchtigen Geschmack. Auch wer komplett auf Alkohol verzichtet, suche Ausgefallenes. Bei Kombucha aus fermentiertem Gemüse tue sich eine neue Kategorie auf. „Soft Health ist ein spannendes Feld“, sagt Rützler. „Getränke, die nicht ins Süße gehen und keinen Alkohol enthalten, aber komplexer sein dürfen mit sauren, bitteren Aromen“. Laut Rützler wird die Zukunft der Genusskultur an einer viel größeren Vielfalt an Lebensmitteln ausgerichtet sein, die über unser Vorstellungsvermögen hinausgeht. 5 Take-away schwächelt, selbst kochen bleibt Während der Pandemie hat Essen zum Mitnehmen und Bestellen einen Aufschwung erlebt, der sich laut Rützler abgeschwächt hat: „Bedingt durch die Inflation und die finanzsensible Wahrnehmung der Deutschen, lässt man sich nicht mehr alles überall hinbringen und nicht mehr ganz so spontan“. Das gelte allerdings nur für einen Teil der Gesellschaft. Die jüngere, technologieaffine Generation, die gelernt hat, dass Essen rund um die Uhr und per App verfügbar ist, sei dabeigeblieben. Und wie steht es um das Kochen zu Hause, das die vergangenen Jahre boomte? „Selbst zu kochen, liegt weiter im Trend“, sagt Rützler. „Nicht immer freiwillig, erst war die Pandemie der Auslöser, jetzt die Preissteigerung“. Für einige Menschen, die während der Lockdowns das Kochen für sich entdeckt haben, hätten sich Rituale etabliert, allerdings sei das eine Minderheit. Viele würden unregelmäßig am Herd stehen und dann improvisieren, ganz in dem Sinne Kühlschranktür auf und nutzen, was da ist. Die levantinische Küche, zum Beispiel gegrillter Blumenkohl mit Tahini und Pitabrot, bleibe dabei weiterhin beliebt, da sie das Bedürfnis nach Gemüse oder einfachen Gerichten bediene. In vielen Haushalten spiele die koreanische Küche eine wachsende Rolle. Hier könne man auf das stark gewachsene Angebot an spezifischen Zutaten zurückgreifen, Kimchi sei sogar im Supermarkt schon ein normaler Player. Rützler bemerkt aber auch eine Sehnsucht nach Heimat. „Es geht wieder zurück zu regionalen Küchen. Einfache, gemüsereiche Eintopfgerichte feiern als Soul Food eine Renaissance“. 2 Immer mehr Speisekarten mit vegetarischen oder veganen Optionen Obwohl der Fleischkonsum zuletzt wieder einen Aufwind erlebt hat, ernähren sich insbesondere jüngere, urbane Menschen öfter fleischfrei oder wollen ihren Fleischverzehr reduzieren. Diese Entwicklung sei nach Ansicht Rützlers nicht mehr aufzuhalten, was sich auch in der Gastronomie widerspiegelt. „Inzwischen sind pflanzliche Gerichte fester Bestandteil eines jeden guten Restaurants“. Fleisch, das über lange Zeit als wertvoll galt, verliere weiter seine Vormachtstellung in den Menüs und müsse sich das Feld mit Gemüse teilen. Eine Reihe einflussreicher Spitzenköche beschleunige den Wandel hin zu einer pflanzlich orientierten, nachhaltigen Esskultur mit Fantasie in der Küche und besonderem Know-how. Gemüse sei keine Beilage mehr, sondern auf einem neuen Geschmacksspektrum zubereitet. Tonangebend seien die Sternerestaurants Tian in Wien, Eleven Madison Park in New York sowie De Nieuwe Winkel in Nijmegen. 1 Wasabi aus Deutschland Der Trend hin zu lokalen Lebensmitteln hält laut Hanni Rützler schon lange an, doch regelmäßig kommen neue Aspekte hinzu. „Einerseits möchten wir mehr regionale Lebensmittel konsumieren, gleichzeitig aber nicht auf die kulinarische Vielfalt verzichten. Local exotics, also etwa im österreichischen Burgenland kultiviertes Wasabi, versprechen diesen Widerspruch aufzulösen“. Das Angebot sei in den letzten Jahren rekordhaft gestiegen, sagt Rützler. Nicht mehr lange und diese Lebensmittel seien für viele nicht mehr exotisch, weil man sich daran gewöhnt habe. Exotisch könnte laut Rützler aber auch bedeuten, dass saisonale Gemüsesorten von Köchinnen und Köchen wiederentdeckt würden. In der Sternegastronomie würde beispielsweise Kohl in den Fokus gerückt und einfallsreich zubereitet. Altes könne so wieder neu erscheinen. Hanni Rützler gilt als führende Forscherin für Nahrungstrends in Europa. Seit 2014 analysiert die Österreicherin im „Food Report“ jedes Jahr den Wandel der Esskultur hierzulande. Foto: Julietta Kunkel
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